Freitag 28. Juni 2019, 12:46
Ich selbst lebe seit fast fünf Jahren in Frankreich und bin mit einem Franzosen verheiratet. Ich würde deshalb sagen, dass ich durchaus einen gewissen Einblick darin bekommen habe, wie Frankreich und die Franzosen so sind. Und natürlich stört es mich auch, wenn gewisse Bekannte von "meinem Franzosen da" sprechen und ihm irgendeinen willkürlichen Spitznamen wie "Jean-Jacques" verleihen, statt von ihm mit seinem tatsächlichen Vornamen zu sprechen. Von anderen Bekannten, die solche Witze wie "nach Frankreich fahr ich nur auf Ketten" machen und von "Froschfressern" sprechen und mit denen ich verständlicherweise jeden Kontakt abgebrochen habe, will ich gar nicht erst reden.
Dass Franzosen weltoffener seien als Deutsche, halte ich daher doch für eine etwas gewagte These, die ich darauf zurückführe, dass Sie, leo71, Frankreich nur "ausschnittsweise" kennen. Ich möchte keineswegs Ihr absolut gerechtfertigtes Anliegen der Völkerverständigung kleinreden, aber wenn Sie glauben, dass die Verantwortung dafür, dass es mit der europäischen Einigung leider nicht ganz so weit her ist, nur bei den Deutschen liege, muss ich Ihnen ganz klar widersprechen.
Es ist nämlich zunächst einmal nicht so, als ob es nicht auch Franzosen gäbe, die sehr komische Vorstellungen von Deutschland und den Deutschen haben. Als Aushilfslehrer wurde ich von einigen Schülern allen Ernstes gefragt, ob ich zum Frühstück Bier trinke und Sauerkraut esse, und ich habe von Vorgesetzten auch mehrfach Bemerkungen zu hören bekommen wie die, dass ich als Deutscher halt einfach nicht verstünde, wie die Dinge in Frankreich so funktionieren. Ich habe auch von anderen Einwanderern wie beispielsweise Marokkanern und Iranern zu hören bekommen, dass Ausländern die Nichtvertrautheit mit den für Frankreich typsichen, oft extrem steilen Hierarchien oft übel angerechnet wird. Ein anderes Mal bekam ich bei einer Bewerbung zu hören, dass, wenn ich kein französisches Diplom hätte, ich mich überhaupt nicht zu bewerben bräuchte.
Und was das Vorurteil anbetrifft, dass Franzosen wirklich schlecht in Fremdsprachen sind, muss ich schlicht und einfach sagen, dass es im Großen und Ganzen stimmt. Die bloße Idee, einen amerikanischen Film im englischen Originalton anzusehen, ruft oft blankes Entsetzen hervor, und ich erinnere mich auch noch an einen Abend, an dem ich der Höflichkeit halber in einem Gespräch mit einem Nigerianer, der des Französischen noch nicht so mächtig war, ins Englische wechselte und sich plötzlich alle von uns entfernten, weil es den Herren Professoren und Anglistikstudentinnen (sic!) zu viel war, mal etwas Smalltalk auf Englisch zu führen. Ansonsten ist mir da auch noch unsere Hochzeit in Erinnerung, wo ich einen der deutschen Gäste darüber aufklären musste, dass meine französische Wahlverwandtschaft eben tatsächlich kein Wort Englisch könne und man ihn nicht "verarschen wolle".
E.s gibt natürlich Ausnahmen, mein Mann schlägt sich beispielsweise immer sehr wacker, wenn es ans Deutschsprechen geht, und meine Schüler, denen ich Privatstunden gebe und die nahezu ausschließlich BWLer und Außenhandelskaufleute sind, ebenfalls. Die sind aber eher selten, und wenn ich manche Englisch- und Deutschlehrer sprechen höre, weiß ich auch, woher das kommt.
Und wenn Sie unter weltoffen eine Offenheit für andere Kulturen verstehen, muss ich auch klar widersprechen. Tatsächlich sind die Franzosen doch sehr ethnozentrisch, in dem Sinne, dass sie sehr auf ihre Kultur zentriert sind und diese mit völliger Selbstverständlichkeit für überlegen halten. Es ist natürlich nicht sehr schwer, ethnozentrischer zu sein als wir Deutschen, aber das ist bei den Franzosen durchaus sehr ausgeprägt.: Vielfach kommt daheim nur Französisches auf den Tisch, und oftmals war ich es als Ausländer, der darüber aufklären musste, dass es bestimmte Dinge so nur in Frankreich gibt.
Ich wohne hier auch in einer Gegend, in der der Front National (bzw. Rassemblement National) im ländlichen Umfeld regelmäßig auf 25 % kommt, und in der ich auch schon jemanden in aller Öffentlichkeit den Arm in die Luft strecken gesehen habe; da dieser besagte Mensch auch einschlägige Aufnäher auf seiner Jacke trug, glaube ich nicht, dass er das bloß tat, um zu zeigen, wie hoch das Gras bei ihm wächst.
Ich würde aber dennoch sagen, dass die Franzosen gleichzeitig tatsächlich weniger rassistisch sind und Einwanderern, die zu ihnen gehören wollen, eher eine Chance geben. Auch ist es durchaus selbstverständlich, dass es Franzosen und französische Beamte eben auch in verschiedenfarbigen Ausführungen gibt, und da eine konsequente Trennung von Staat und Religion herrscht, ist es eben auch selbstverständlich, dass es Franzosen gibt, die nicht nur katholisch sind (auch wenn diese Konfession vorherrscht und man als geborener Lutheraner eher ein Exot ist).
Die Franzosen sind auch im Allgemeinen wirklich sehr herzlich und hilfsbereit, und das ist auch etwas, das ich im Alltag sehr zu schätzen weiß. Ich würde auch für meine lieben Gallier und meine Wahlheimat trotz all ihrer Macken die Hand ins Feuer legen und gedenke auch, die französische Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Da ein guter Patriot aber auch die Schwächen seines Landes kennen und anklagen sollte, muss ich auf dieser Richtigstellung ebenfalls bestehen.